Einmaleins des Projektierens – 6 Tipps zum Klettern deines Projekts!
Übersetzt mit freundlichem Einverständnis von Eric Hörst von trainingforclimbing.com.
Für einen extremen Sportkletterer gib es kein besseres Gefühl, als an einer abgefahrenen Tour zu arbeiten und bis Sonnenuntergang alle Stellen zu einem Rotpunktversuch zusammenzufügen. Aber häufig braucht es einen zweiten oder noch mehr Tage, um das Projekt zu punkten. Es ist großartig ein langfristiges Projekt zur Inspiration zu haben. Doch der Weg zu einem besseren Kletterer ist es, in erster Linie viele Routen am persönlichen Maximum, oder knapp darunter zu klettern. Deshalb ist es wichtig, nicht nur in Routen rumzuhängen, die dich eindeutig überfordern, da dies zu einem Vertrauensverlust in die eigenen Fähigkeiten führen kann. Denke immer daran, dass es der erfolgreiche Durchstieg von Touren ist, der deine mentalen und technischen Fähigkeiten verbessert und dich somit näher ran bringt, dein „Projekt deines Lebens“ zu klettern!
Wenn das Spiel des Projektierens für dich neu ist, zeige ich dir zuerst die Basisstrategien für erfolgreiches Arbeiten – und Durchsteigen – der Tour! Ich werde dir als nächstes einige Tipps geben, wie du eine Route, die du nicht am ersten Tag knacken kannst, am besten angreifen solltest. Und zum Schluss werden wir einen philosophischen Blick auf den Umgang mit diesen frustrierenden Langzeitprojekten werfen.
6 Tipps für die Arbeit und den Durchstieg deines Projekts!
1. Die Auswahl der Route ist der erste wichtige Schritt. Um zu vermeiden, dich in einem langfristigen Kampf zu verzetteln, solltest du eine Route zwei oder einen Grad unter deiner schwersten Rotpunktbegehung der letzten sechs Monate auswählen. Vermeide es Routen mit mehr als einem Grad über deinem Limit auszuwählen, außer du hast das Gefühl eine perfekte Route für einen persönlichen Rekord gefunden zu haben.
2. Teile die Route, getrennt durch Ruhepositionen, in drei bis fünf überschaubare Teile ein. Eine anhaltend schwere Route, ohne gute Ruhepunkte, muss von Haken zu Haken erarbeitet werden. Arbeite an der Lösung jeden Abschnitts als wäre es eine eigene Miniroute. Die ersten (und unteren) Abschnitte werden natürlicherweise am häufigsten geklettert. Aber sei dir sicher auch das letzte Stück der Tour anhängen zu können. Du darfst keinen Zweifel haben, dass du auch diesen Abschnitt in erschöpftem Zustand noch mitklettern kannst – auf dem Weg zum Umlenker zu fallen ist eine Form von Selbstquälerei!
3. Verbringe, sobald du die Krux identifiziert hast, viel Zeit damit die richtigen Züge herauszufinden, um die Schwierigkeit zu minimieren. Sei vorsichtig damit, die Informationen von anderen Kletterern, als den „besten Weg“ durch die Krux, zu akzeptieren. Teste eigene verschiedene Sequenzen für die Lösung – es ist beim Klettern nichts Falsches daran, sich an dieser Stelle in den Gurt zu setzen, zu springen oder ein Stück abzulassen, um die Stelle mehrere Male auszubouldern. Erweitere deinen Blick und die Suche nach kreativen Lösungen: Schaue nach Seitzügen, Untergriffen, Kombigriffen, versteckten Tritte, Hooks und ungechalkten Zwischengriffen. Oftmals ist es ein neuer Griff, eine andere Körperposition oder ein kleiner Unterschied beim Stehen, was einen sich unmöglich anfühlenden Zug doch möglich macht!
4. Arbeite dich richtig in die Krux ein, bis sie scheinbar automatisch geht. In der Regel solltest du in der Lage sein die Schlüsselstelle ohne zu fallen dreimal hintereinander klettern zu können, bevor über einen Rotpunktversuch nachgedacht wird. Eine leistungsstarke Lernstrategie ist propriozeptive Signale zu erkennen, welche dich durch die härtesten Züge führen werden. Konzentriere dich während deiner Übungsversuche auf die Empfindungen (Propriozeption in den Armen, Beinen und Rumpf) bei erfolgreichen Zügen und vergleiche diese mit dem Körpergefühl bei Fehlversuchen. Die körperlichen Empfindungen während eines Zuges oder einer Klettersequenz zu spüren ist eine wichtige Hilfe, wenn du auf diese Schlüsselstelle in deinem Rotpunktversuch triffst.
5. Nachdem du die gesamte Route ausgebouldert hast und die Schlüsselstelle dreimal hintereinander klettern konntest, solltest du vor einem Rotpunktversuch 30 bis 60 Minuten Pause machen. Die Forschung zeigt, dass ein Sportgetränk und aktive Regeneration die Erholung verkürzt. Nehme deshalb vor dem Versuch eine mentale Pause mit einem kurzen Spaziergang und einem Getränk. Kehre nach zehn bis zwanzig Minuten zur Tour zurück und bereite dich mit dem Mittel der Visualisierung auf einen erfolgreichen Durchstieg vor.
6. Wenn du dich für den Rotpunktversuch anseilst, lass es zu, dass in dir eine gewisse Zuversicht und Erfolgserwartung wächst. Sehe nervöse Gefühle als ein gutes Zeichen an, dass in deinem Gehirn Adrenalin freigesetzt wird, was eine erstklassige Vorbereitung für körperliche Anstrengung ist. Und streiche schließlich die Angst vor einem Fehlschlag dadurch, dass du schon im Voraus einen etwaigen Fehlversuch akzeptierst und vorwegnimmst. Durch das Akzeptieren eines Fehlschlags – und dem Wissen, dass für Erfolg eine gewisse Ausdauer unvermeidlich ist – erhöhst du massiv die Erfolgschancen, indem du die lähmende Angst vor dem Scheitern beseitigst. Mache jetzt deinen Kopf frei, ergreife den Moment und entfalte Zug um Zug einen erfolgreichen Durchstieg.
3 Tipps zur Arbeit an mehrtägigen Projekten
1. Wenn sich das Projekt nicht am ersten Tag bezwingen lässt, musst du herausfinden, ob du es drauf hast, es am nächsten Tag zu klettern. Offensichtlich wirst du am folgenden Tag körperlich nicht mehr ganz so frisch für einen Durchstieg sein. Trotzdem kann oftmals der Kopf den Unterschied machen, dass das Unterbewusstsein einen am nächsten Tag effizienter durch die schwersten Züge leitet. Das ist auch der Grund, warum viele müde Kletterer oftmals von einem wundersamen Durchstieg am „Tag Zwei“ überrascht sind! Mit einem nicht ganz vollen Tank wirst du offensichtlich nur ein oder zwei gute Versuche in der Route haben. Wenn sich der Durchstieg auch am zweiten Tag entzieht, solltest du ein paar Tage oder eine Woche Pause machen, bevor du wieder zu dieser Tour zurückkehrst.
2. Erwäge ein Abbild der Krux zu schrauben, falls du eine Boulderwand daheim hast. Klettere das Abbild der Sequenz mehrere Male pro Training, um die spezifischen Abläufe und Kraft zu entwickeln, um das Projekt zu punkten. Ergänze deine körperliche Praxis zehn bis zwanzig Minuten vor dem Schlafengehen mit Visualisierung – mache diesen mentalen Film von unten bis oben so lebendig und detailliert wie möglich.
3. Widerstehe dem Drang die Tour aus dem Stand zu punkten, wenn du wieder zum Projekt zurückkehrst. Klettere die Route stattdessen von Haken zu Haken (oder Ruhepunkt zu Ruhepunkt), um dich körperlich und mental auf einen erfolgreichen Aufstieg vorzubereiten. Versuche, die körperlichen Empfindungen eines erfolgreichen Durchsteigens der Krux zu bestätigen und stelle sicher, dass du für einen finalen Go zum Umlenker bereit bist. Sobald du mit etwas angepumpten Armen mit dem Aufwärmen durch bist, lasse dich zum Boden ab und mache vor dem Durchstieg eine 30 bis 45 minütige Pause.
Was ist zu tun, wenn dein Projekt zu einem Gefängnis wird?
An einer Tour über mehrere Tage – oder sogar Wochen – zu scheitern, kann dein Selbstbewusstsein schädigen, oder sogar die Motivation zum Klettern zerstören. Wenn du diesen Punkt erreichst – und idealerweise schon davor! – ist es entscheidend, dass du dem Projekt eine Pause gibst und für ein paar Wochen deinen Fokus verlagerst. Der beste Weg, um dein Selbstvertrauen zurückzugewinnen und negative Emotionen umzudrehen ist es, ein paar andere Routen durchzusteigen! Schraube deine Erwartungen zurück und gehe für ein paar Tage (oder Wochen) mit dem alleinigen Ziel, dich durch das Klettern von vielen Touren zwei bis vier Grade unter deinem Projekt-Grad wieder auf die Siegesspur zurückzubringen (wenn dein Projekt-Grad 10- ist, dann punkte einige Touren im Bereich 8+ bis 9). Nach einer gewissen Auszeit wird sich dein Herz zunehmend danach sehnen, wieder zu deinem Projekt zurückzukehren – du wirst es innerlich merken, wenn die Zeit dazu reif ist.
Originalartikel von Eric Hörst erschienen am 01.08.2016 auf trainingforclimbing.com |
Hey Christoph,
vielen Dank für die Übersetzung. Ich feue mich immer, wenn es einen neuen Hörst-Artikel gibt.
Ich habe auch einen mehrteiligen Beitrag zum Thema Projektieren verfasst, der zusätzlich noch bei der Routenwahl, Ausbouldern und Durchstieg vorbereiten genauer in´s Detail geht. Ich habe ihn hier veröffentlicht:
https://www.vertical-riot.de/das-erste-mal-projektieren-teil-1/