Fehlt es Kletteranfängern einfach an Kraft?

Macht explizites Krafttraining für Anfänger und fortgeschrittene Kletterer Sinn? Oder sollte zuerst der Schwerpunkt auf die Klettertechnik, die Bewegungen und die Effizienz Wert gelegt werden?

Während Anfänger beim scheitern einer Route meist das Gefühl haben, zu wenig Kraft wäre die Ursache, halten viele erfahrene Kletterer und z.T. auch Trainer dagegen, es liegt vor allem an der mangelnden Klettertechnik und Effizienz in den Zügen.

Die einen glauben daher, ihr Glück am Griffbrett und dem Campusboard zu finden. Andere halten dagegen und verweisen auf den vermeintlichen heiligen Gral, die Klettertechnik!

Was ist meine Meinung dazu?

Definition Anfänger und Fortgeschrittene

Zunächst einmal will ich ganz kurz klären, auf wen ich mit Anfängern und Fortgeschrittenen abziele:

  • Anfänger sind Kletterer im 4 bis 6 Grad der UIAA Skala, und Fortgeschrittene (zumindest im Sinne des Themas) vom 7. bis zum unteren 9, Grad
  • Beim Bouldern sind Einsteiger dementsprechend ungefähr bis zum Schwierigkeitsgrad 5a unterwegs und Fortgeschrittene dann von 5a bis 7a nach der gängigen Boulderskala

Klettertechnik hat Priorität

Kraftausdauertraining durch Rotpunktklettern
An der Schlosszwergwand – Frankenjura

Meiner Meinung nach hat in diesem Stadium ganz klar die Klettertechnik, die Grifftechnik, das erlernen der verschiedenen Bewegungen und das Sammeln von Erfahrung in den verschiedenen Bouldern, Neigungswinkel, Griffarten usw. höchste Priorität!

Verschiedene Arten von Kraft

Wie soll man aber das Thema Kraft in dieser Phase betrachten? Auch hier gilt es zunächst einmal zwischen ein paar verschiedenen Arten von Kraft zu unterscheiden – denn Kraft ist nicht gleich Kraft!

  • Fingermaximalkraft
  • Schnell- oder Explosivkraft
  • Athletik
  • Körperspannung
  • dazu noch die Unterscheidung in konzentrische, isometrische und exzentrische Kraft

Beispiele:

  • Fingerkrafttraining am Trainingsboard wäre die isometrische Fingermaximalkraft
  • einarmiger Klimmzug wäre konzentrische Maximalkraft
  • schnell ausgeführte Klimmzüge wären Explosivkraft

Was brauchen Anfänger nicht

Was brauchen Anfänger nicht: Explizites Fingermaximalkrafttraining am Trainingsboard oder gar am Campusboard! Der wesentliche Grund dafür ist, das die Fingermaximalkraft nur durch das Klettern und Bouldern in dieser Phase schon mehr als genügend trainiert wird.

Schließlich hat man im Alltag kaum eine derartige Belastung für die Finger, es sei denn man ist Handwerker oder hat ein besonderes Hobby wie Judo. Der Trainingsreiz für die Fingermaximalkraft und auch Kraftausdauer ist daher bei den allermeisten durch das Klettern alleine schon hoch genug, so dass kein explizites Training am Griffbrett oder Campusboard sinnvoll und nötig ist!

Erst wenn die Klettertechnik gefestigt ist, und der Trainingsreiz durch das Klettern und Bouldern für die Fingerkraft nicht mehr ausreicht, sollten dann das Training am Griffbrett und noch etwas später am Campusboard integriert werden! Ab dem 9. Schwierigkeitsgrad der UIAA Skala sollte der Punkt so im Allgemeinen etwa gekommen sein.

Campusboard - The Ladder - Footless
Campusboard – The Ladder

Viele weit – oder weiter – Fortgeschrittene machen hier nun den Fehler und verzichten komplett auf diese beiden Trainingsformen. Stattdessen vertrauen sie weiterhin auf das, was sie bis an diese Stelle gebracht hat: Nämlich das Bouldern und Klettern selbst, um dadurch weiterhin die Kraft und die Technik zu entwickeln.

Die Klettertechnik hat sich aber bis dahin bei den meisten schon sehr ordentlich entwickelt und die Griffe in den nun etablierten Schwierigkeitsgraden geben nicht mehr den Trainingsreiz, um sich nun noch spürbar weiter zu entwickeln!

Was brauchen Anfänger stattdessen

Aber zurück zu den Anfängern und etwas Fortgeschrittenen: Um gewisse Klettertechniken überhaupt zu erlernen und anwenden zu können, ist durchaus eine gewisse Physis notwendig! Und mit dieser Physis meine ich die Athletik, die Körperspannung und die Beweglichkeit!

Durch diese athletischen und Beweglichkeitsfähigkeiten, werden gewisse „gute Techniken“ überhaupt erst möglich, oder zumindest erleichtert. Dabei denke ich z.B. an die Körperspannung die man grundsätzlich braucht, damit zwischen den Zügen der Körper nicht zusammenklappt, oder die Athletik, um bei einem längeren Zug die Kraft entwickeln zu können, um die Distanz zum nächsten Griff zu überwinden!

Klettertraining: Halbe Aufroller an der Klimmzugstange
Klettertraining: Halbe Aufroller an der Klimmzugstange

Die Beweglichkeit ist zwar keine Kraft, aber auch ein wichtiger Aspekt, um hoch anzutreten oder weit entfernte Tritte erreichen zu können.

Athletik, Körperspannung und Beweglichkeit halte ich daher für die Basis und das Fundament des Boulderers und Sportkletterers!

Man sollte sich allerdings nicht auf ein paar wenige Übungen festlegen, so nach dem Motto, ich will jetzt unbedingt die Hangwaage lernen, sondern die Auswahl der Übungen sollte vielseitig und aus abwechslungsreich sein!

Yoga-Hinabschauender-Hund
Yoga-Hinabschauender-Hund

Dadurch integriert man von Anfang an auch ein gewisses Ausgleichstraining und vermeidet muskuläre Dysbalancen. Das hilft zum einen sich zusätzlich vor Überlastungen und Verletzungen schützen. Vor allem Schulter- und Ellenbogenprobleme können dadurch vorgebeugt werden!

Zum anderen arbeitet man aber auch gleich gegen Haltungsschäden wie dem Kletterrundrücken! Und der kann schneller kommen, als man denkt: Ich kenne junge ehrgeizige Kletterer, die nach ein- zwei Jahren schon deutliche Anzeichen eines Kletterrundrückens haben!

Daher sollten die, die es ernst meinen, in etwa 1x pro Woche eine Einheit Athletik- und Körperspannungseinheit integrieren. Und ca. 3 mal die Woche für 15 bis 20 Minuten an ihrer Beweglichkeit arbeiten!

Wie entsprechenden Einheiten für den Einsteiger beispielsweise aussehen, kannst du dir hier im Magazin oder in den Videos von target10a auf youtube anschauen!

Was allerdings nicht gemacht werden sollte, ist sich schon in dieser Phase die Trainingseinheiten der Profis, wie z.B. Magnus Midtbö oder Adam Ondra zum Beispiel zu machen. Der Grund ist ganz einfach: Anderer Leistungslevel andere Trainingsinhalte.

Disclaimer

Das Gesagte gilt natürlich eher für die Mehrheit der Anfänger, die in diesen physischen Faktoren noch Schwächen haben. Also Leute die Probleme haben ein paar wenige saubere Klimmzüge zu schaffen und auch beispielsweise Planks nicht sauber halten können.

Bist du hingegen ein Umsteiger und hast dir in einer anderen Sportart schon gute bis exzellente athletische Fähigkeiten erarbeitet, dann solltest du diesen Level zumindest verwalten.

Auch ganz davon abgesehen, dass es auch noch sehr wichtige psychische Faktoren wie Konzentration, Fokussierung, Sturzangst usw. gibt.

Minibarren - L-Seat to Handplant
Minibarren – Handstand

Die Priorisierung der einzelnen Trainingsschwerpunkte ist sowieso immer individuell zu betrachten!

Aber in diesem Beitrag wollte ich nochmal die Wichtigkeit der Athletik, Körperspannung und auch Beweglichkeit als Fundament für den Kletterer und Boulderer auch in der Anfangszeit und generell hervorheben!

Video

Der Artikel als Video:

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3 Gedanken zu „Fehlt es Kletteranfängern einfach an Kraft?

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  • 9. Mai 2019 um 11:20
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    Danke für diesen Artikel. Endlich mal jemand, der erkennt, dass manche Anfänger eben total untrainiert sind. Und wenn jemand nichtmal ein klein wenig Körperspannung hat, dann ist eben schnell auch eine Grenze erreicht. Selbst ordentliches Eindrehen in einer leicht geneigten Wand kann dann zur Herausforderung werdern.
    Um jemanden auf diesem Level weiter zu bringen, ist ein gewisses Athletiktraining unabdingbar. Oder man lässt ihn einfach die nächten 5 Jahre 5er klettern. Was vermutlich den meisten Kletterern mit etwas Ehrgeiz schnell die Freude am Sport nimmt.

    Wie du so schön sagst, ist auf diesem Level ein Profitraining nicht das Richtige. Ich denk man sollte hier noch erwähnen, dass es dabei nicht nur um die Inhalte geht, sondern auch daraum, dass ein jemand auf einem deutlich geringeren Fitnesslevel mit einem solchen Training im schlimmsten Fall seinem Körper mehr schadet als nutzt.

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