Die Angst. Eine Konfrontation.
Zwecks der besseren Lesbarkeit wurde auf das Ausschreiben weiterer Pronomen verzichtet, sie sind in diesem Text mit * gekennzeichnet.
Die Sturzangst beim Klettern: Für viele das eigentliche Problem
Wenige Dinge hemmen dich beim Klettern so sehr wie dein eigener Kopf. Entgegen der geläufigen Meinung, dass dein Bizepsumfang oder deine Unterarmmuskulatur bestimmen, wie erfolgreich du in der Wand bist, ist es vor allem dein Stressmanagement, das dich als ambitionierten Kletterer* von der breiten Masse unterscheidet (oder eben nicht.) In diesem Artikel werde ich dich an das Konzept der Angst heran führen, mit dir analysieren, wie sie entsteht, und dir Möglichkeiten aufzeigen, wie du sie aus einem anderen (produktiveren) Blickwinkel betrachten kannst. Denn wie schon Alexander Huber gesagt hat, ist Angst per se nichts Schlechtes. Wie wir mit ihr umgehen bestimmt dagegen, ob wir (trotz oder wegen ihr) konstruktive Möglichkeiten finden, um als Kletterer* über uns selbst heraus wachsen. Oder: Ob wir uns lähmen lassen. Auf der Stelle treten. Obwohl wir nichts lieber täten, als den nächsten Grad abzuhaken!
Ängstlich schiele ich nach unten zur letzten Exe, während ich merke, wie mir die Arme zulaufen und die Finger langsam aufgehen. Der nächste gute Henkel ist in Sicht, aber er ist schon ziemlich weit weg (mindestens! 2 ganze Meter 😉 ) und ich müsste dynamisch anziehen, um ihn zu erreichen. Möglich? Ja, sicher. Irgendwie geht immer. Aber… Aber der Sturzraum ist ziemlich unsympathisch… Und wenn ich abrutsche… tut bestimmt weh. Und so weiter. Ich hadere mit mir. Die Sekunden verstreichen und meine Chance auf den Durchstieg mit ihnen. Das kostet Körner. Der Pump lässt grüßen.. Ich setze mich ins Seil. Und dann ärgere ich mich. Es wäre nur ein kleiner Ruck nötig gewesen, ein bisschen Überwindung, und der Sieg wäre mein gewesen. Die Sturzangst hat mich (mal wieder) erwischt, und zwar volle Breitseite. Wer kennt es nicht? Das ist verdammt frustrierend. Zu wissen, dass man physisch deutlich unter seinen Möglichkeiten klettert, weil der Kopf im Weg steht. Die Angst – Ein mieser Verräter.
So ging es mir lange Zeit, und mit mir vielen anderen Klettern. Dir vielleicht?. Sonst würdest du diesen Artikel vermutlich nicht lesen. Was hältst du davon, wenn wir uns gemeinsam daran machen, unsere Sturzangst in den Griff zu kriegen? Du und ich. Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid, oder so ähnlich. So sagt man zumindest.
Eines vorweg: An deiner Sturzangst zu arbeiten wird wirklich unangenehm. Aber es gibt wenige Baustellen, an denen zu schrauben dich so immens viel weiter an deine persönliche Bestleistung heran bringt, wie das Sturztraining. Irgendwann kommst du beim Klettern an einen Punkt, an dem du dich im Training einfach über deine Grenzen hinaus pushen solltest, wenn du weiter Fortschritte machen willst. Und das geht nicht, ohne zu stürzen. Es ist wie bei jedem anderen Sport auch. Und wie Wolfgang Güllich bereits erkannt hat, ist das Gehirn der wichtigste Muskel beim Klettern – Als solchen kannst du ihn auch trainieren. Das ist die gute Nachricht.
Angst ist natürlich
Also schauen wir uns am besten mal genauer an, was Angst eigentlich ist. Wie entsteht diese fiese kleine Stimme im Kopf, die uns davon abhält unser Potential auszuschöpfen?
Es handelt sich um unser Reptiliengehirn. Es schützt uns vor potentieller Gefahr. Und das ist auch wirklich gut so, denn wenn es diese Stimme nicht gäbe, wären du und ich vermutlich heute nicht hier, weil wir aus Furchtlosigkeit vor möglichen Konsequenzen beim Straße überqueren vor den nächsten Bus gelaufen wären, da wir nicht links und rechts geschaut hätten. Es ist also nicht sinnvoll, sich gegen seine Angst zu wehren. Man sollte sie als das wahrnehmen was sie ist. Ein wertvoller Schutzmechanismus, für den wir uns nicht verurteilen sollten. Jeder kennt den Respekt vor der Tiefe. Bei manchen ist er mehr und bei anderen weniger stark ausgeprägt. Das ist alles. Und auch wenn du vielleicht das Gefühl hast, dass andere Kletterer in der Route überhaupt nicht mit sich selbst kämpfen müssen und du dagegen ganz extrem, versichere ich dir: das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite. Der Unterschied ist, dass einige Kletterer gelernt haben, wie sie sich mit ihrer Angst auseinandersetzen können und sich so weiterentwickelt haben und manche noch nicht..
Der erste Schritt auf dem Weg zum neuen Grad sollte also sein, zu akzeptieren, dass du dich vorm Stürzen fürchtest. Wie mit allen anderen Gefühlen verhält es sich auch mit der Angst so, dass sie sich verstärkt, je mehr du dich gegen sie wehrst. Du solltest nicht versuchen, dir einzureden, dass sie nicht da ist, denn sonst wird sie dich noch hartnäckiger begleiten. Es ist sogar möglich, dass du andernfalls eine Angst vor der Angst entwickelst. Ein sich selbst verstärkender Kreis. Also merke: Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
In der Wissenschaft unterscheidet man zwischen Angst und Stress. Stress wird laut Fischer et al. definiert als eine Kraft, die auf einen Körper einwirkt und so etwas in diesem hervorruft. Etwa eine Notfallreaktion. Die einwirkende Kraft wird Stressor genannt. Unter einer verstärkten Belastung erhöht sich laut Fischer et al die Nebennierenaktivität. Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin werden dadurch ausgeschüttet (Fischer et al: 2017. 52.). Dies wirkt sich auf die Atmung, Herzleistung und den Stoffwechsel aus. Die berühmte fight-or-flight Reaktion wird hervorgerufen. Dieser Zustand befähigt uns zu immensen physischen Leistungen. (Fischer et al: 2017. 53.). Angst bewahrt dich also nicht nur vor Dummheiten, sondern kann dich in gewissen Situationen auch stärker machen. Nicht umsonst gibt es Leute, die diesen Zustand bewusst immer wieder suchen und dem Adrenalin hinterherjagen.
Unter Einwirkung von (langanhaltenden und intensiven) Reizen von außen (dem Stress), findet eine körperliche Anpassung statt. Auf die Alarmphase, in der Hormone ausgeschüttet werden, und die dazu dient, dass Stressoren beseitigt werden, folgt die Widerstandsphase, in der eine Adaption auf die einwirkenden Reize erfolgt, da kein Körper dauerhaft in Alarmbereitschaft verweilen kann. Das bedeutet, dass deine Sturzangst nachlassen wird, wenn du dich ihr aussetzt (Selye: 1976. 72f. ). Ich weiß, das willst du nicht hören. Es ist auch wirklich leichter gesagt, als getan. Aber wenn du deine Sturzangst in den Griff kriegen willst, wirst du um eines nicht herum kommen: Du musst stürzen. Genau genommen: Oft. Sehr oft. So einfach ist das (tja, und doch so schwer). Aber ich versichere dir, aller Anfang ist schwer. Es gibt viele Dinge im Leben, auf die dieses Prinzip zutrifft. So auch aufs Stürzen.
Sturztraining
Wichtig ist, dass du dich regelmäßig aussetzt. Du musst es nicht gleich übertreiben (wir wollen deine armen Nerven nicht überstrapazieren). Fang mit kleinen Stürzen an. Es reicht am Anfang, wenn du 1-2 Stürze pro Trainingseinheit einbaust (wenn du willst natürlich gerne auch mehr), aber du solltest aufpassen, dass du dich nicht negativ konditionierst. Das heißt, du solltest nicht gleich einen 5 Meter Sturz hinlegen, sondern erst mal auf Brust- oder Hüfthöhe über der letzten eingehängten Exe loslassen. Manchen Menschen hilft es, wenn sie mit der flachen Hand an die Kletterwand schlagen, um sich so dazu zu überwinden, die Hände zu lösen. Wichtig ist, dass du zu Beginn alles mit deinem Seilpartner* absprechen solltest, damit es zu keinen unangenehmen Überraschungen kommt. Du solltest genau sagen, wie weich (oder eben nicht) du gesichert werden willst, damit dein Vertrauen keine Risse bekommt. Grundsätzlich gilt, dass das Verletzungsrisiko geringer ist, je weicher du gesichert wirst, aber dafür ist der Sturz auch länger. Es gilt hier abzuwägen, das ist deine eigene Entscheidung.
Wenn dein Sicherer* schwerer ist als du und du beim Stürzen lieber etwas sanfter im Gurt ankommen möchtest, solltest du darum bitten, dass du im Falle des Sturzes aktiv gesichert wirst. Das bedeutet, der Sichernde* sollte einen Schritt nach vorne auf die Wand zu gehen, um die Sturzenergie etwas abzupuffern, damit du weich ins Seil fällst. Wenn du dagegen leichter bist, als die kletternde Person und diese im unteren Wandbereich aus der Route fällt, solltest du dich als Sicherer* nach hinten ins Seil werfen, um das Schlappseil zu reduzieren, damit der Sturz nicht zu tief wird und ein Verletzungsrisiko so minimiert wird. Das ist am Anfang alles viel auf einmal zu beachten, aber Übung macht den Meister*. Falls das mit dem weich Sichern mal nicht so gut klappt, solltest du (wie bei jedem anderen Sturz auch) darauf vorbereitet sein, die Sturzenergie beim Aufprall an der Wand abzufangen, in dem du die Beine angewinkelt nach vorne vor dir in Stellung bringst. Dann heißt es reagieren. Aber keine Sorge, das passiert meist ziemlich instinktiv. So, wie wenn du auf der Treppe stolperst und dich abfängst.
Vertrauen ist beim Klettern und Stürzen unabdinglich. Wenn du das Gefühl hast, dass dein Seilpartner* dich nicht gescheit sichert, steht das Sturztraining unter keinem guten Stern. Du bist schließlich in einer Situation, in der du dich und deine Sicherheit in die Hände einer anderen Person begibst und ohne Vertrauen läuft das nicht. Im Zweifelsfall besprich, was dich stört und hoffe auf Besserung, oder such dir jemanden, bei dem du dich wohl fühlst. Sonst wird’s unangenehm und unter Umständen verschlimmert sich deine Sturzangst durch Negativerlebnisse. Das wollen wir nicht.
Vorsicht vor Rückschlägen
Wenn soweit alles passt und du schon einige kleinere Hopser hingelegt hast, kannst du die Frequenz und die Höhe der Stürze langsam steigern. Wichtig ist, dir nicht zu viel zuzumuten. Wenn man hier zu viel zu schnell will und sein Bauchgefühl ignoriert, tritt die oben erwähnte negative Konditionierung ein. Du verbindest schlechte Gefühle mit dem Sturztraining und versuchst ihnen mit Sturztraining zu begegnen, wodurch du noch schlechtere Gefühle entwickelst und so weiter. Am Ende drückst du dich in deinen Trainingseinheiten immer öfter und irgendwann ganz vorm Sturzteil. Ein Teufelskreis entsteht. Das ist nicht sinnvoll. Hab Geduld mit dir selbst. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.
In der Kletterhalle an den hohen Wänden solltest du dich wenn möglich nicht vor dem vierten-fünften eingehängten Haken fallen lassen (wobei es hier natürlich auf den Gewichtsunterschied zwischen dir und deinem Seilpartner* ankommt). Es ist außerdem gut, wenn du dir eine Route aussuchst, die leicht überhängt, da du so ins Leere fällst und das Verletzungsrisiko so minimierst. Wenn dir die Höhe sehr zusetzt und du dich einfach nicht überwinden kannst, dich ins Seil zu schmeißen, hilft es dir vielleicht, wenn du in die nächste Boulderhalle fährst und dort von einer Höhe abspringst, in der du dich wohl fühlst. Hier kannst du dich schrittweise steigern und bist selbst verantwortlich dafür, wie du am Boden aufkommst.
Womit wir beim nächsten Punkt sind. Viele Menschen haben keine Angst vor dem Sturz an sich, sondern vor dem damit verbundenen Kontrollverlust. Das kannst du in den Griff kriegen, in dem du übst dynamisch zu stürzen (d.h. aus der Bewegung heraus. Du visierst mit der Hand einen Punkt an der Kletterwand oberhalb des nächsten Griffes an und ziehst dynamisch an, so dass deine Hand ins Leere trifft. Es folgt der Sturz ins Seil oder auf die Matte). Diese Art des Sturztrainings ist deutlich effektiver, als das bloße Loslassen, weil es dem tatsächlichen Sturzerleben in der Realität näher kommt und du dich so eher an diese Situation und die damit verbundenen Gefühle gewöhnst. Alternativ kannst du auch einfach eine leichtere Route hochklettern, bis du einen sicheren Haken in einer ausreichenden Höhe erreicht hast, so dass ein Bodensturz ausgeschlossen ist und dann in eine benachbarte Route wechseln, die deutlich über deinem Limit liegt, so dass du auf jeden Fall stürzen wirst. Wenn dein Partner* und du ein eingespieltes Team seid, kann es hilfreich und unterhaltsam sein, wenn ihr euch Sturzspiele ausdenkt. Zum Beispiel muss sich derjenige*, der am Klettern ist, auf ein Kommando des Sichernden* ins Seil stürzen o.ä. Auch so setzt du dich dem Gefühl des Kontrollverlustes aus, weil du nicht selbst über den Zeitpunkt des Sturzes entscheidest und unvorbereitet darauf bist, was langfristig nötig ist, um besser zu werden. Es gibt vieles im Leben, das wir nicht kontrollieren können, was außerhalb unseres Einflussbereiches liegt (zum Beispiel die Schwerkraft). Und das ist in Ordnung so.
Die Tatsache, ob sich ein Mensch in einer Situation gestresst fühlt oder nicht, hängt mit seiner Erwartungshaltung zusammen. Dies ist der Grund dafür, dass zwei verschiedene Personen in einer objektiv gleichen Situation unterschiedlich reagieren. Deine eigene Bewertung der äußeren Umstände ist also ganz entscheidend dafür, ob du dich bedroht oder herausgefordert fühlst und damit auch, ob dir der Durchstieg gelingt oder nicht. Je negativer du eine Situation bewertest und je mehr du ein Gefühl des Kontrollverlustes verspürst, desto gestresster wirst du dich beim Klettern fühlen. Es ist die Unvorhersagbarkeit einer Situation, die uns in einen Geisteszustand manövriert, in dem nichts mehr geht (Fischer et al.: 2017: 52ff). Dem kannst du entgegen wirken, in dem du dir den Sturz gedanklich ausmalst. Es ist wie beim Visualisieren eines harten Boulderproblems oder einer Sportkletterroute an deinem Limit: Durch das repititive Durchspielen des Sturzes kann es dir leichter fallen, den Sturz in der Realität durchzuführen, weil du ihn quasi immer wieder erlebt hast – zumindest so was wie. Ein Hoch auf die Spiegelneuronen!
Wir werden also ängstlich, wenn wir uns einer Situation ausgesetzt fühlen, in der wir uns als bedroht einschätzen, in der wir aber das Gefühl haben, nicht angemessen reagieren zu können. Hier kommt der wichtigste Punkt, an dem du schrauben musst, wenn du deine Sturzangst angehen willst: Glaube an dich. Es klingt banal (ist es auch). Aber du musst stürzen lernen wollen! Und auch davon überzeugt sein, dass du dieser Herausforderung gewachsen bist. Wenn du das schaffst, ist der Drops schon halb im Sack. Ähh…die Katze gelutscht. Naja, du weißt was ich meine.
Die Vorstellung eines Sturzes ist oft deutlich angsteinflößender, als der Sturz an sich. Der ist schneller vorbei, als du blinzeln kannst und dann hängst du schon im Seil und schaust verdutzt aus der Wäsche. Es ist wirklich alles halb so wild. Jeder*, wirklich jeder* hat das Potential über sich selbst herauszuwachsen und seine mentalen Grenzen zu verschieben.
Du wirst dir selbst einen Gefallen damit tun, wenn du das Sturztraining nicht als etwas unangenehmes betrachtest, sondern als eine Möglichkeit siehst, etwas über dich selbst zu lernen. Denn seien wir mal ehrlich. Es ist einfach ein notwendiges Übel. Du wirst als Kletterer* nicht darum herum kommen, also kannst du es dir wenigstens schön reden, oder? Manchen Menschen hilft es, wenn sie sich ein Mantra zulegen, um sich in ausgesetzten Situationen zu beruhigen. Zum Beispiel wie Pete Whitaker, der sich mit „Toprope…Toprope, Toprope, Toprope“ in einer haarsträubenden Situation beim Klettern im Gritstone tröstete, als es kein Zurück für ihn gab und ein Bodensturz im Falle des Scheiterns unausweichlich gewesen wäre.
Vielleicht ist dein Problem aber eben auch einfach die Angst vor dem Scheitern? Ich glaube, dass viele Menschen die Sturzangst und die Angst davor, mit den eigenen (ungeliebten) Grenzen konfrontiert zu werden miteinander verwechseln. Und sich deshalb lieber ins Seil setzen, statt den schweren Zug zu probieren, denn wenn man etwas nicht versucht, kann man auch nicht daran scheitern. Dann solltest du dir bewusst machen, dass wir ohne Fehler nicht dazu lernen. Wer besser werden will, muss bereit sein zu scheitern, denn sonst tritt man dauerhaft auf der Stelle. Wachstum findet außerhalb der Komfortzone statt. Oder glaubst du, Silence wurde ohne einen Sturz durchstiegen?.. Nein. Siehst du? Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Was wir also zu Hause vorm Bildschirm sehen, suggeriert den Eindruck, dass Klettern nur aus einer Reihe von Durchstiegen besteht und andere deutlich talentierter und erfolgreicher sind, als wir selbst. Fakt ist: Klettern am Limit besteht zu 95% aus Scheitern und Fallen und dem Lernen daraus. Was wir zu Hause sehen sind die restlichen 5%. Das jahrelange Training und die hunderte Stürze und Fehlschläge, das Blut und der Schweiß, die dem Send vorausgingen, sehen wir nicht. Die Wahrheit ist: Beim Klettern gibt es nichts geschenkt. Denn von nichts kommt nichts. Wie auch beim physischen und technischen Training ist der mentale Aspekt des Klettertrainings ein Prozess. Und als solcher wird er nie beendet sein. Es wird immer etwas geben, was wir dazulernen können. Wir dürfen nie damit aufhören zu versuchen, besser zu werden und uns weiterzuentwickeln, denn wer denkt, dass er* etwas ist, hört auf, etwas zu werden.
Stürzen zur Regelmäßigkeit machen
Das Ziel ist es daher, das Sturztraining zu einem festen Bestandteil deiner Klettereinheiten zu machen. Es kommt hier nicht auf den Umfang, sondern die Regelmäßigkeit an. Wie bei anderen Muskeln ist es leider auch beim Gehirn so, dass es sich zwar schnell adaptiert, aber sich von der Ausgesetztheit beim Stürzen auch schnell wieder entwöhnt, wenn du aufhörst, dich dieser Erfahrung auszusetzen. Viele erfahrenere Stürzer* nutzen die Möglichkeit, den Umlenker in der Halle nicht einzuhängen und den letzten Hakenabstand am oberen Ende als unausweichlichen Sturz nach jeder beendeten Kletterroute in ihr Training zu integrieren. Das ist aber nur ein Gedankenanstoß.
Was du beim Stürzen außerdem unbedingt beachten solltest: Greif auf dem Weg nach unten nicht ins Seil. Tu es nicht. Ernsthaft. Etwas in der Hand zu halten vermittelt dir ein falsches Gefühl von Sicherheit, kann aber zu verdammt üblen Verletzungen führen. Wenn du dir das Seilgrabbing erstmal angewöhnt hast, ist es sauschwer es dir wieder abzugewöhnen. Achte bewusst darauf, die Hände zur Seite zu strecken oder die Faust zu ballen, wenn du fällst, dann passiert dir nichts. Außerdem solltest du aufpassen, dass du immer gut stehst und dein Bein sich nicht hinter dem Seil befindet, wenn du drauf und dran bist, dich fallen zu lassen oder du merkst, dass dir die Arme zulaufen. Andernfalls kannst du durch das Seil auf dem Weg nach unten herumgerissen werden, so dass du mit dem Kopf zuerst fällst. Auch das ist etwas, was man unbedingt wissen und vermeiden sollte.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Sturzangst und Stressmanagement wie so oft im Leben eine Frage des Mindsets sind. Und das hast du selbst in der Hand. Gefahr ist sehr real, aber mal ehrlich, ist Sturztraining in der Halle bei den Hakenabständen, mit moderner Technik, Partnercheck und allem drum und dran wirklich gefährlich? Wenn du alles beachtest und du und dein Seilpartner* euch verantwortungsvoll verhaltet wohl kaum. Sonst würde es sicher nicht so viele Verrückte geben, die in Scharen in die Kletterhallen strömen. Die sind ja nicht alle nicht bei sich.. oder? (naja..vielleicht ein bisschen 🙂 ).
Äußere Sturzbedingungen im Auge haben
Natürlich musst du dich draußen am Fels umsichtiger verhalten und dir der Risiken bewusst sein. Das ist was anderes als in den Hallen. Du solltest vorm Sturz einen Blick nach unten auf den Sturzraum werfen, damit du die Sturzrichtung günstig beeinflussen kannst. Außerdem solltest du versuchen, immer kurz vor einem unkontrollierten Sturz los zu lassen und dich von der Wand wegdrücken oder leicht nach hinten springen, damit du auf keinen spitzen Felsvorsprüngen landest. Und du solltest einen guten Haken von einer alten Rostgurke unterscheiden lernen. Aber viele Klettergärten werden auch draußen sehr gut betreut und regelmäßig gewartet. Wenn dir das zu unsicher ist, kannst du dir immer noch Cams und Keile besorgen und lernen, Routen, die dir ein mulmiges Gefühl geben, zusätzlich mit deinem eigenen Material abzusichern. Da weißt du schließlich, was du gelegt hast und woran du bist.
Du siehst also, du solltest dich nicht von deiner Angst einschränken lassen, aber eben doch auf sie hören, um reale Gefahr und gesunden Respekt gegeneinander abzugrenzen zu können. Und dich natürlich entsprechend verhalten, so dass du noch lange Spaß am Klettern haben wirst. Spring über deinen Schatten. Du wirst dich großartig fühlen, wenn du erst mal den nächsten Grad geknackt hast, weil du gelernt hast, wie du deine Angst konstruktiv nutzen kannst und deine Projekte zum Fallen bringst. Das Selbstvertrauen, das du dadurch gewinnen wirst, dass du dich von deinen eigenen (auferlegten) Grenzen nicht aufhalten lässt, wird dich auch in anderen Lebensbereichen voran bringen. Zukünftigen Herausforderungen kannst du dich so getrost stellen, denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Für das Sturztraining gilt wie für das Klettern auch, dass es gute und schlechte Tage gibt. Setzt dich nicht unter Druck. Je schneller du Fortschritte gemacht hast, desto größer sind womöglich deine Erwartungen an deine Session und desto schlechter kann es laufen (Wer kennt das nicht? Die besten Trainingsstage sind in der Regel die, an denen man die geringsten Ansprüche an die eigene Leistung stellt und einfach nur Spaß am Klettern und der Bewegung hat). Denn je mehr du dir von etwas versprichst, desto größer kann die Diskrepanz zwischen der Realität und deiner Vorstellung ausfallen und desto größer kann die Enttäuschung sein, wenn es mal nicht so rund läuft. Sei dann auf jeden Fall nett zu dir – bessere Tage werden folgen. Fortschritt ist nicht linear. Das gilt auch fürs Mentaltraining. Du wirst nie an dem Punkt sein, an dem du sagen kannst, dass du deine Sturzangst dauerhaft überwunden haben wirst (außer deine Amygdala funktioniert nicht so, wie beim Rest von uns und du bist kaltschnäuzig wie Alex Honnold. Soll es ja geben.). So bald du aufhörst, dich dem Stürzen auszusetzen, wird auch deine Angst wieder an Macht über dich gewinnen. Andererseits wirst du, je öfter du dich dem Fallen aussetzt, auch immer souveräner in der Wand agieren können, obwohl du die Hosen voll hast. Und das ist das eigentliche Ziel des Sturztrainings. Deine Angst annehmen, ihr Raum geben und trotzdem in der Lage sein, über deine Grenzen zu gehen.
Klettern und Stürzen sind zwei Seiten einer Medallie. Ebenso Erfolg und Misserfolg. Beides funktioniert nicht ohne einander. Insofern kann es auch kein Wachstum ohne Rückschläge geben. Daher: Bewahre die Ruhe, wenn du mal ein Plateau erreicht hast und du das Gefühl hast, dass es nicht weiter geht. Versuche, in dich reinzuhören und überlege dir, woran es liegen könnte. Nur wer sich selbst kennt, kann an sich arbeiten. Suche Lösungen und vor allem: Gib nicht auf.
In diesem Sinne wünsche ich dir viel Erfolg beim Fallen. Und vergiss nicht: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
Fischer, P., H. W. Krohne. (2017). Angst und Furcht. Philosophie und Psychologie im Dialog: 16. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen. 49ff.
Selye, H. (1976). The stress of life. (rev. ed.). New York. 72f.
Ganz toller Beitrag, danke für die Mühe!